Ahrtal 2021

     Reiseberichte

Die H I O B Stiftung SCHOP und die Ahrtal-Katastrophe 2021

 

Vielleicht dachte sich die Ahr, die wilde Schwester des Rhein: Aus dem „Rekordhochwasser“ des 02.06.2016, bei dem bereits etliche Keller und Erdgeschosse vollgelaufen und beschädigt worden waren, haben die Menschen anscheinend nichts gelernt. Also veranstaltete sie in der Nacht vom 14. /15. Juli 2021 ein Groß-Reine-Machen ihrer Überflutungsflächen mit rd. 200l Wasser / qm, das ist ungefähr eine große Badewanne voll, aufrecht.
Verglichen mit Hochwassern früherer Jahrhunderte transportierten die Fluten neben Menschenleben nicht mehr nur Lehm und Balken von Fachwerkhäusern und handwerkliches, oder hauswirtschaftliches Gerät, sondern diesmal neben all dem auch Autos, Gas- und Öltanks, Traktoren, Stahlträger und reichlich Beton. An der Engstelle bei der Lochmühle in Mayschoß sprengten sie einen Teil des Felsens ab. Die Wasserwalze, durch den Tunnel im oberen Ahrtal beschleunigt, machte sich springflutartig auf den weiteren Weg. Alles, was sie nicht schon selbst zerstörte, beschädigte sie so, dass es von den Menschen würde abgerissen werden müssen.
In den Medien hieß es: Eine Folge des Klimawandels. Aber gleich, ob menschengemacht oder nicht, die Bilder im Fernsehen und den sozialen Medien waren erschütternd. Ein zerstörtes Tal und 134 Menschenleben ausgelöscht. 

Die H I O B Stiftung SCHOP hat sich zum Ziel gesetzt das handwerkliche Wissen zu sammeln, das nach einer Katastrophe helfen kann, noch bevor das Technische Hilfswerk und andere Organisationen anrücken. Denn vielleicht ist Anrücken so schnell nicht möglich, dauert es wie hier bei einigen Orten Tage, z.B. weil Brücken weggerissen, oder Deiche durch Sturmfluten aufgeweicht sind. Dann müssen die Betroffenen sich erst einmal selber helfen, mit und aus dem, was (noch) da ist, ein Dach über dem Kopf schaffen, Wasser, Nahrung, Kleidung und sonst Brauchbares sichern, eine medizinische Erst-/Grundversorgung auf die Beine stellen. 
Um einen ersten eigenen Eindruck von einem Land nach der Katastrophe zu bekommen, fuhr ich selbst am 27.07.2021 an die Ahr, aber nicht mit leeren Händen.

14 Tage nach der Flut, wenn in all dem Abreißen, Weg- und Aufräumen das erste Adrenalin verbraucht ist,
Energie und Mut nachlassen, der Schock seine Wirkung zeigt, müssten die Menschen trotzdem anfangen Pläne zu schmieden. Die Frage des: Wie könnte es weitergehen? war doch allgegenwärtig. 
So luden wir auf unseren kleinen Piaggio Hinterkipper „Notfallbüros“, eine  Grundausstattung, was man in einem Büro braucht, wenn es keinen Strom gibt: Papier, Bleistifte, Kuli-Ersatzminen, Spitzer, Radiergummi, aber auch Kohlepapier für handschriftliche Durchschläge und Locher.
Zu jedem Satz gehörte ein großer Collegeblock „Tagebuch“ mit dem Hinweis: Jeden Tag wenigstens eine Seite anfangen und jeden Tag wenigstens ein positiver Satz. Warum?
Weil das Trauma dieser Nacht und der Stress dieser Tage verarbeitet werden müssen. Weil es nicht im Kopf bleiben und nachts darin herumspuken darf, so dass die Menschen keinen Schlaf finden. Die Gedanken müssen zur Ruhe kommen. Was geschrieben oder gezeichnet ist, hat einen ersten Platz gefunden. Und ja, so viele Psychologen und Psychotherapeuten, wie die Menschen an der Ahr bräuchten, haben wir in der ganzen Republik nicht. Das Tagebuch war als Möglichkeit gedacht, sich selbst zu helfen, weil aus anderen Zeiten bekannt ist: Schreiben, miteinander reden und beten alleine und in Gemeinschaft helfen.  


Ausgangspunkt dieser ersten Fahrt wurde der Klepperstall e.V. bei Zülpich. Von dort nahm ich gespendetes Tierfutter mit, nur um im Laufe des Tages festzustellen, dass davon im Katastrophengebiet reichlich vorhanden war. Tiere, soweit sie überlebt hatten, waren inzwischen auswärts untergebracht. Einige Wenige waren rechtzeitig in die Weinberge geflüchtet und kamen erst abends zu ihren Häusern, wenn die Räumfahrzeuge abgefahren waren und Ruhe einkehrte. Aber immerhin, das Gewicht auf der Hinterachse erleichterte das Fahren.
Nicht nur bei den Futterspenden, auch sonst, zeigte sich eine riesige Welle der Hilfsbereitschaft. Allerdings zeigte sich auch die fehlende Logistik für die Kleider-, Food- und Non-Food-Spenden. Es entstanden an mehreren Stellen Lager, die übervoll waren, aber die Sachen mangels Fahrern und Fahrzeugen nicht in die Hilfsgebiete bringen konnten. Die Hallen am Nürburgring zu nutzen, war eine gute Idee, aber hier fehlte das Know-how von Disponenten und Marktleitern großer Kaufhäuser, wie Bekleidung u.a. zügig warenhausmäßig durchzusortieren und zu lagern wäre. Die Profis von DRK, Bundeswehr, THW u.a. war mit den eigenen Aufgaben beschäftigt und ausgelastet und konnten hierfür keine Resourcen abstellen, leider.
Für unsere 35 Notfallbüros fanden sich an dem Tag immerhin 30 Abnehmer.


Die persönlichen Eindrücke der Fahrt: Krass. 
Eine freigespülte Kellerwand mit einem riesigen Loch, in dem ein wie ein Streichholz durchgebrochener Baum mit einem Durchmesser von vielleicht 60 cm lag. Welche Energie? Dabei ist die Ahr dort gewöhnlich ein Bach von 2-3 m Breite bei 60cm Tiefe. 
Oder das, was mal ein Auto mit Schiebedach war. Das Blech hinter dem Schiebedach aufgerollt wie bei einer Sardinendose. Das Chassis zusammengedrückt auf vielleicht noch 1 m x 2,5 m, spiegelblank geschmirgelt. 
Oder das Gras, am Felsen auf etwa 7,50 m Höhe.

Und dann die riesigen Kräne, Raupen, Fahrzeuge der Polizei, des THW, der Bundeswehr. Unser dank des Gewichts geländegängiger Knubbel wirkte dazwischen wie ein Floh. 
Von geplanten 2 Tagen reichte mir einer um festzustellen, dass ich dort (noch) fehl am Platz war.


Auf der Rückfahrt überlegte ich, dass wir vielleicht einen Transport mit stromlos zu betreibendem Werkzeug organisieren könnten, oder Generatoren u.ä., oder wir leihen Traktor und Hänger aus für die Weinlese und bis ins nächste Frühjahr. Aber dafür bräuchte es natürlich einen persönlichen Kontakt, nicht nur email und facebook.


Am 24. August berichtete das Freie Wort, dass die Tage der Dombergbaude in Suhl gezählt seien. Der Inhaber gab nach 2 Corona-Sommern altersbedingt auf. Etliches Inventar könne abgeholt werden, was übrigbliebe, würde entsorgt. Auf dem Zeitungsfoto: Gute, wenn natürlich auch gebrauchte, Gastronomie-Ware. 
Spontan rief ich den Betreiber Herrn Oehrig an. Ihm gefiel die Idee seine Sachen nicht einfach zu entsorgen, sondern Betroffenen an der Ahr zur Verfügung zu stellen. So fuhren wir zu zweit mit dem 7,5t Mercedes nach Suhl. Der Laster wurde voll mit Dingen, die vollkommen in Ordnung waren, hier nur nicht mehr gebraucht wurden.


Demnächst würde es abends an der Ahr zu dunkel und zu kalt werden, um noch draußen zu sitzen. Einheimische und Helfer nur in ihren notdürftigen Unterkünften zu lassen, war keine Option.
Hier war ein Gastro-Konvolut, das die Grundlage für eine Straußwirtschaft werden konnte.

  • Bildtitel

    Untertitel hier einfügen
    Button
  • Bildtitel

    Untertitel hier einfügen
    Button
  • Bildtitel

    Untertitel hier einfügen
    Button


Dann begann das Telefonieren. Dieses Mal, mit dem großen Fahrzeug, wollte ich eine sichere Kontaktadresse und nicht nur „auf gut Glück“ an die Ahr, wie im Juli. 
Es war verständlich, dass die Angerufenen mit unserer fremden Vorwahl in ihren Displays – die Telekom und anderen Mobilfunkanbieter hatten ihre Netze überwiegend wieder aufgebaut – erstmal nichts anfangen konnten. Freitagvormittags kam ein Kontakt über das DRK Meiningen zustande. Ich hatte deren Laster im Juli in Laach gesehen.


Da ich am Montag 13.09. ohnehin nach Mendig wollte, peilten wir Freitag / Samstag davor für die Auslieferung an. Die mit dem Helfer-vor-Ort ausgemachte Liefer-/Lageradresse: Im Guten Acker, Dernau, OT Marienthal. 
Da nach unserer Vorstellung das Konvolut als Ganzes aber die Grundlage für eine Straußwirtschaft bilden sollte, wollten wir nicht nur an ein Lager liefern, das die Sachen trennte und verteilte, sondern wir suchten nach einem Abnehmer für alles. Über 3 Ecken ergab sich der Kontakt zu einer jungen Gastronomin, die möglichst bald wieder etwas auf die Beine stellen wollte. 

Samstag 11.09. fuhr ich am späten Vormittag mit dem Laster los. Es wurde eine kleine Odysee. Mit einem 7,5 Tonner fährt man eben nicht einfach wo lang, wenn da ein Schild steht „bis 3,5 t“, außer der Bauer sagt: "Da fahren inzwischen auch die 50 t von der Bundeswehr durch." Bis ich „Im guten Acker“ ankam war es nach 19:00 Uhr, es begann Dunkel zu werden. Wie verabredet gab es einige Helfer vor Ort. Der Laster war gut zur Hälfte leer, als eine junge Frau mit Kind kam und Abendessen an die Helfer des Camps verteilte. Als Nächste kam die Abnehmerin dazu. Daraus ergab sich zwischen der jungen Frau und mir ein unfreundlicher Wortwechsel. Sie meinte: Was ich mir erlauben würde? Es sei ihr Haus. Sie wisse von nichts. Ich solle die Sachen sämtlich wieder einladen und verschwinden. Sie bräuchten hier keinen Müll … Ich atmete tief durch und stellte den Kontakt zur Abnehmerin her. Sie erklärte der jungen Frau, ihr Haus sei von der Flut so zerstört worden, dass es inzwischen abgerissen werden musste. Sie habe keine Lagermöglichkeiten. Dass sie eine ebenfalls Betroffene war, glättete die Wogen etwas. Später meinte ich zu einer Helferin, in der Hoffnung, dass sie es weitergab: Für Müll hätten wir uns die Mühe nicht gemacht. Die Gastronomin suchte sich aus, was sie gerne haben wollte. Diese Sachen durften im Haus bleiben. Die entladenen Campingstühle waren bereits durch die Helfer besetzt. Ein Monoblockstuhl, ein kleiner Tisch, eine kleine Kommode blieben neben einer Pumpe und einem Schlauch bei der Familie. Alles andere wurde wieder eingeladen. Ich zählte die Sachen auf, die dort blieben, und stellte dazu nur kurz fest, dass der Besuch so sinnlos nicht gewesen wäre. Neu hätten diese Sachen sicher um die 1.000 € gekostet.
Etwas nach 20:00 Uhr fuhr ich mit dem halbvollen Laster wieder los, diesmal in mein Nachtquartier nach Kaarst. Dort traf ich wegen der gesperrten A61 erst nach 23:00 Uhr ein.

Während der Fahrt hin ich einigen Gedanken nach.
Diese hier wollten anscheinend nur Hilfe in Geld, sich in das Chaos hinein neue Sachen kaufen, oder Handwerker, oder kostenlose/ehrenamtliche Aufräumhilfe. Aber was heißt das?
Das heißt, dass sie alle die, die – z.B. wegen Alters – nicht über Geld oder Zeit verfügen, aber gute, ganze, wenn auch gebrauchte Sachen zur Verfügung stellen können von der Hilfeleistung ausschließen. Dass Amazon & Co aus der Katastrophe profitieren (und von dem Gewinn ins All fliegen), während Gedanken der Nachhaltigkeit keine Bedeutung beigemessen wird. Dass man sich in einer Zeit, in der viel wesentlichere Entscheidungen getroffen werden müssen, also gerade in der ersten, ohnehin schweren Zeit zusätzlich und unnötig mit der Frage nach Marken und Typbezeichnungen von Dingen, Werkzeug & Co. belastet, statt sich über gute Hilfe zu freuen und mit dem zufrieden zu sein und zu arbeiten, was man gebraucht, aber funktionsfähig geschenkt bekommt und sich so Zeit zu verschaffen. 

Ein anstrengender Tag war zu Ende. Ich hatte noch einen halbvollen Laster. Und was jetzt?

Ein später Anruf zur Stiftungsmitarbeiterin, ein wenig Nacht-Recherche und für Sonntagmittag war eine neue Adresse aufgetan. Die Facebook-Gruppe „rettet die Ahr-Gastronomie“ sammelt(e) Alles, was Pizzerien, Kneipen, Gastronomen u.ä. brauchen konnten, gleich, ob die Gläser einen Brauereinamen trugen, einen Eichstrich hatten, oder die Teller ein Hirschmotiv zierte. Zeug für die Übergangsphase. Dinge für den Wiederanfang. Hier übernahm man auch gerne die Spiele und Spielzeuge aus der Kinderecke der Dombergbaude für den Kindergarten, der vollständig geflutet war, alles Spielzeug war verloren.
Auch hier: Wenigstens ein Anfang.

  • Bildtitel

    Untertitel hier einfügen
    Button
  • Bildtitel

    Untertitel hier einfügen
    Button


Das Gespräch mit dem Vertreter der Gruppe ergab, Werkzeug wird derzeit nicht gesucht. Die Baumarktketten haben sich für´s Erste als Sponsoren erwiesen.  

Gebraucht würden Handwerker, vor allem Elektriker und Heizung-/Sanitär, oder Mauerer …
Ein verständlicher Wunsch, aber Fachhandwerker sind in allen Regionen Deutschlands rar. 

Gegen 18:00 Uhr waren wir, ich + – best Beifahrer ever, – Fly, interessierter Gesellschafter ohne Meckerpotential, wieder in Kaarst


Dienstags drauf kam der Anruf der Lohmühle, wir hätten doch … 
Ich erklärte, dass die Sachen schon weggegeben wären, gab aber die Kontaktdaten der Gruppe und der jungen Gastronomin weiter. 
"Netzwerken", auch ein Wort, dass ich erst in den letzten Wochen gelernt habe.
Die Stiftung nennt es „füreinander – miteinander, statt gegeneinander“.

 

Die Idee, den Traktor samt Anhänger zu verleihen ist noch nicht aufgegeben (Ihr findet ihn bei unserem Projekt der Glockengasse). Der käme per Spedition, oder Selbstabholung.
Eine weitere Tour mit dem Laster an die Ahr ist nicht ausgeschlossen.
Im Frühjahr übernahmen wir aus der aufgelösten Neuapostolischen Kirche, Schleusingen 10 Bänke á 1,50 m Breite mit Buchablage an der Rückseite. Wir hatten überlegt, sie vielleicht draußen an der Kapelle zu stellen (Projekt Plaue, Kapelle, Kirchgasse). Nachträglich stellte sich heraus, dass sie dafür nicht geeignet sind, aber für drinnen ...
Interesse???

Mal sehen, was die Zeit bringt.
Wir werden weiter berichten.

Share by: